Fingerübungen braucht kein Mensch

Fingerübungen braucht kein Mensch. Das ist doch eh nur was für Metalgitarristen, die extrem schnell spielen wollen.

Den Gedanken hatte ich schon oft. Und soviel vorab:

Ich habe meine Meinung geändert. Nicht zu 100%, aber zumindest ist die Richtung jetzt etwas anders.

Gitarre lernen: So nicht!

Ich war nie jemand, der im Unterricht gerne Übungen gespielt hat. Als ich anfing, Gitarre zu spielen, besuchte ich eine Musikschule, in der wir uns ganz stur an ein Heftchen hielten. Dieses Heft war übersäht von Übungen, die leeren Saiten als Noten zu erkennen und dann auf der Gitarre zu zupfen.

Das große Ziel des Heftes war, dass man dann “Bruder Jakob”, “Hejo spann den Wagen an” und Ähnliches spielen kann. Genau das, was man als dreizehnjähriger Teenager so auf der Gitarre spielen will 🤢. Nicht!

Die Musikschule habe ich nicht länger als drei Monate besucht. Danach konnte ich meine Eltern davon überzeugen, dass diese Herangehensweise nicht zu mir passt.

Gitarre lernen. Meine Herausforderungen als Jugendlicher

Zum Glück hatte mein Bruder einen Freund, der uns zeigte, wie man “Come as you are” von Nirvana auf der Gitarre spielt.

Ich wollte einfach meine Lieblingssongs lernen. Was auch völlig normal für einen Jungen in meinem Alter ist. Sämtliche Übungen, die nichts mit meinem Ziel zu tun hatten, konnten mir gestohlen bleiben.

Mit dieser Einstellung habe ich dann viele Jahre lang als Gitarrist in einer Coverband gespielt. Mein Repertoire war riesig und ich konnte alles auswendig spielen. Allerdings gab es einige Angstlieder in unserer Setliste. Allen voran “Sweet Child O’ Mine” und “Snow (Hey Oh)”. Beides Lieder, bei denen man eine sehr effiziente und sichere Plektrumtechnik braucht, um die richtigen Saiten zu treffen.

Diese Lieder blieben einige Jahre lang meine Angstlieder und ich kam nie auf die Idee, das Problem gezielt anzugehen (wahrscheinlich, weil ich so schlechte Erfahrungen mit sturen Übungen in den ersten Gitarrenstunden machte). Ich dachte immer, das wird schon, wenn ich es nur oft genug gespielt habe.

Der Sinn von Fingerübungen auf der Gitarre

Das klappte aber nicht. Es hat sich erst gebessert, als ich wirklich daran gearbeitet habe, die Saiten zu treffen. Und zwar mit Übungen. Fingerübungen, die darauf abzielen, die Saiten zu treffen und die Synchronisation beider Hände zu fördern. Eine dieser Übungen ist die Fingerspinne. Diese ist unter Gitarristen sehr bekannt und gibt es in sämtlichen Variationen.

Jetzt wo mir klar war, für was ich die Übung brauchen kann, war ich auch bereit, sie in meinen Übeplan einzubauen. Noten vom Blatt zu zupfen war für mich damals nie ein Ziel. Deswegen hatte ich auch überhaupt kein Interesse daran, die Übung zu machen. Auch wenn meine damalige Lehrerin sagte, dass ich später mal richtig davon profitieren würde. Das stimmt auch. Aber eben nur, wenn das Blattspiel auch eines meiner Ziele ist.

Eine Fingerübung muss einen klaren Nutzen für die eigenen Ziele haben. Sätze wie “Du wirst später mal davon profitieren” bringen wenig. Je enger die Übung mit deinem Repertoire verknüpft ist, umso effektiver ist sie.

Vor knapp einem Jahr habe ich eine Fingerübung von Joe Robinson gelernt, die mir richtig viel Sicherheit für das Spielen mit dem Plektrum gebracht hat. Diese Übung ist super, wenn du Probleme hast, die richtigen Saiten zu treffen. Gleichzeitig trainiert sie noch die Flexibilität in der Linken Hand. Die Übung ist Teil meines neuesten Youtube-Videos, in dem ich auch noch zwei Aufwärmübungen ohne Gitarre zeige. Damit trainiert man das gezielte Steuern einzelner Finger in der Greifhand:

Wie kann ich meine Fingerfertigkeit verbessern?


Das Prinzip ausweiten

Meiner Meinung nach ist der Schlüssel zum Erfolg eine gute Mischung aus Übungen und “Songs”. Nur Übungen sind langweilig. Nur “Songs” zu spielen kann dazu führen, dass man nicht weiter kommt bzw. nicht besser wird.

Am effektivsten sind die Übungen, die man direkt für den “Song” brauchen kann. Ich klammere das Wort “Song” mit Absicht ein, denn damit meine ich nicht zwingend das, was wir alle unter einem Song verstehen. Das kann auch etwas Eigenes sein, oder ein spezieller Groove oder eine bestimmte Melodie.

Nehmen wir an, du willst eine Melodie über eine Akkordfolge spielen. Dann wäre z.B. die Tonleiter oder ein Arpeggio in dieser Lage eine passende Übung. Es geht immer darum, die Übung mit dem Endprodukt zu verknüpfen. Dieses Prinzip ist auch die Grundlage des Griffbrett-Fux Mitgliederbereichs.

Oder nehmen wir einen Sechzehntel Groove über mehrere Takte. Eine passende Übung wäre es, die Sechzehntel erst einmal ohne Gitarre zu klatschen und dazu die Viertel zu stampfen. Diese Methode ist ein Teil meines Rhythm&Groove Workshops. Trage dich gerne in die unverbindliche Warteliste ein, um den nächsten Start nicht zu verpassen:

Rhythm&Groove Warteliste

Eigene Übungen erstellen

Eine weitere effektive Art, besser zu werden, sind Übungen, die man selber erstellt. Nehmen wir an, du lernst ein Stück mit einem Akkord, der sehr schwer zu greifen ist. Immer wenn dieser Akkord an der Reihe ist, dauert es ein wenig, bis deine Finger sortiert sind. Und das nervt dich extrem, da dadurch der Spielfluss total unterbrochen wird.

Du kannst jetzt das Lied so lange weiter üben, bis der Akkordwechsel irgendwann sitzt und viel Zeit verschwenden. Oder du nimmst diesen Akkord aus dem Kontext und baust dir selber ein paar kleine Übungen, um den Wechsel zu trainieren. Ein Beispiel wäre, andere Akkorde vorzuschalten, bei denen man einen oder mehrere Finger liegen lassen kann. Dann trainiert man immer nur den Wechsel zwischen Akkord A und Akkord B (neuer Akkord). Da durch kommst du viel öfter in den “Genuss”, den neuen Akkord greifen zu müssen. Akkord A kannst du dann beliebig austauschen, um verschiedene Szenarien zu üben. Durch dieses gezielte Üben (am besten noch mit Metronom) wirst du den neuen Akkord viel sicherer und schneller lernen.

Meine Tipps für Fingerübungen auf der Gitarre

Hier möchte ich dir meine Tipps für Fingerübungen auf der Gitarre nochmal kompakt zusammenfassen:

  • Es reicht, eine Hand voll Fingerübungen zu kennen und diese über einen längeren Zeitraum regelmäßig zu üben.

  • Fingerübungen sollten immer einen Bezug zu einem “Song” haben, den du damit verbessern willst.

  • Es bringt nichts, Übungen zu machen, für die man keinen Verwendungszweck hat.

  • Es braucht eine gute Balance zwischen Übungen und Songs um besser zu werden.

  • Jeder sollte die Fähigkeit entwickeln, sich selber Übungen zu erstellen. Eigens erstellte Übungen sind oft effektiver, als vorgegebene Übungen.

Ich wünsche dir ein schönes Wochenende.

Liebe Grüße Andi 🎸🦊

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